Was ist denn wirklich anders als vorher?

/ Eva-Maria Thoms

Wenn Schulen Schwierigkeiten mit der Inklusion haben, wird die Ursache schnell bei einem Personalmangel oder bei der fehlenden Ausbildung der Lehrer*innen gesucht.

Ein wichtiger Faktor zum Gelingen inklusiver Schulen wird dagegen zu wenig beachtet, meint Karl-Robert Weigelt: Für den pensionierten Schulleiter und Regierungsdirektor in der Bezirksregierung Köln spielen die Schulleitungen eine Schlüsselrolle auf dem Weg zur Inklusion. Weigelt hat sich mit ehemaligen Kolleg*innen in Köln zur Initiative „Seniorexperten für Inklusion“ zusammengeschlossen und bietet jetzt Schulleitungen ehrenamtlich Beratung an.

Vor welchen Schwierigkeiten stehen Schulleiter*innen, wenn ihre Schulen inklusiv werden?

Ich habe in den vergangenen Jahren beobachtet, dass Schulleitungen oft Hemmungen haben, die inklusive Entwicklung ihrer Schule mit Nachdruck anzupacken. Da zeigen sich auch die Auswirkungen unseres Schulsystems. Die meisten unserer Lehrer*innen kommen immer noch aus dem gymnasialen Milieu. Sie haben selbst Gymnasien besucht und dort ihre Vorbilder für den Lehrer*innenberuf und ihr Bild gefunden, wie Unterricht und Schule sein sollen. Viele haben deshalb gar nicht das Bedürfnis, eine Schule zu erleben, die anders ist. Sie sehen nicht die Notwendigkeit für Veränderung, und das beeinflusst ihr Handeln: Du willst an die Aufgabe nicht ran. Du denkst, das kann ja gar nicht gut gehen. Du wartest darauf, dass Probleme entstehen, und diese Probleme erscheinen Dir dann auch besonders groß. 

Und wie kann man das ändern?

Die wichtigste Voraussetzung für gelingende Inklusion ist, dass Lehrer*innen und allen voran Schulleitungen ihre Sichtweise umstellen und sich fragen, was denn tatsächlich mit der Inklusion so anders wird als zuvor. Erstes Beispiel: Das Ziel, jede Schüler*in individuell zu fördern, steht etwa in Nordrhein-Westfalen schon seit 15 Jahren im Schulgesetz und Inklusion ist letztlich nichts anderes als individuelle Förderung. Zweites Beispiel: Jede Schulklasse – und das gilt auch fürs Gymnasium - besteht aus sehr unterschiedlichen Schüler*innen. Und schwierige Schüler*innen hast Du auch immer dabei. Da unterscheiden sich die allermeisten Schüler*innen mit Förderbedarf nicht stärker vom angeblichen Durchschnitt als die Schüler*innen ohne Förderbedarf. Dann kommt vielleicht noch ein Schüler mit einer körperlichen Behinderung oder eine Schülerin mit Hörbehinderung dazu, von denen Du als Lehrer vor allem erst einmal wissen musst, dass sie schneller ermüden. Das sind alles sekundäre Sachen. Wer Inklusion immer nur an extremen Fällen wie an Schüler*innen mit schwersten körperlichen oder geistigen Behinderungen oder schwersten Verhaltensproblemen diskutiert, zeichnet ein falsches Bild. So werden Probleme dramatisiert. Die bessere Sichtweise für eine Schulleitung ist: Das Drama herausnehmen. Schauen, welche Herausforderung tatsächlich neu ist. Probleme lösen und zum Anlass nehmen, Schule und Unterricht Schritt für Schritt positiv zu verändern. 

Wie können Schulleiter*innen eine solche neue Sichtweise ins Kollegium tragen?

Wer ohne jede Vorbereitung in die Konferenz geht und ankündigt, dass die Schule jetzt inklusiv werden muss, sollte seine Führungskultur noch einmal überdenken. Kluge Schulleiter*innen führen vorher Einzelgespräche mit besonders innovativen Kolleg*innen, mit Meinungsführer*innen und mit Kolleg*innen, die Inklusion schon kennen. Von denen gibt es in jeder Schule ein paar. Man lässt diejenigen Lehrer*innen, die dazu bereit sind, an Fortbildungen teilnehmen oder an inklusiven Schulen hospitieren und – ganz wichtig – man lässt sie anschließend in der Konferenz davon berichten.
Schulleiter*innen müssen die Inklusion als Entwicklungsthema an ihrer Schule etablieren und die Praxis nach und nach aufbauen, freundlich und offensiv. Dabei muss man sich auch trauen, Widerstände zu benennen und zu besprechen. Man darf die Dinge nicht sich selbst überlassen, sondern sollte aktive Qualitätsentwicklung betreiben. Dazu gehört auch, dass Schulleiter*innen sich die Zeit nehmen, im Unterricht zu hospitieren, Feedback-Strukturen im Kollegium zu entwickeln und schlechte Praxis in der Einzelauseinandersetzung mit den Kolleg*innen zu bearbeiten. Inklusion ist eine Entwicklungsaufgabe, die Schulleitungen offensiv angehen müssen. Dabei kann im Übrigen eine Vernetzung mit anderen Schulleitungen enorm helfen. 

Dieser Text wurde im Rahmen der Kampagne zum Film 
DIE KINDER DER UTOPIE (Hubertus Siegert) erstellt.

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Zum Film DIE KINDER DER UTOPIE

Ein langer Schulkorridor, auf der linken Seite Fenster, rechts grüne Türen.

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