Nix los mit der Inklusion?

/ Eva-Maria Thoms

Das Vorhaben, als Familie mit einem behinderten Kind in der Mitte dieser Gesellschaft zu leben, gehört zu den wahren Abenteuern. Fast jeder Tag überrascht mit zwischenmenschlichen Erlebnissen: Von Annahme oder Ablehnung, von Respekt oder Missachtung, von Aufmerksamkeit oder Ignoranz, von Inklusion oder Nixklusion.

Kirsten Ehrhardt und Kirsten Jakob haben daraus einen inzwischen mehrfach ausgezeichneten Blog gemacht – mit Geschichten, die viel verraten über unsere Gesellschaft und ihr Verhältnis zu Menschen mit Behinderung: “Zwischen Inklusion und Nixklusion - Jeden Montag eine neue Geschichte”.

Ihr veröffentlicht jetzt im dritten Jahr jeden Montag eine Geschichte rund ums Thema Inklusion. Was war Eure Motivation, diesen Blog zu starten?

Wir sind Mütter von Kindern mit Behinderung, da erleben wir viel. Wir haben Freund*innen, die viel erleben, und wir beraten seit Jahren andere Eltern. Wir beiden Kirstens sind lange schon befreundet und haben uns diese Geschichten immer gegenseitig erzählt. Irgendwann dachten wir: Aufschreiben und Veröffentlichen ist doch viel besser! Es sind oft „kollektive Geschichten“, so nennen wir sie: Geschichten, in denen sich viele wiedererkennen, vor allem viele Eltern. Eine Mutter hat uns mal geschrieben und gefragt: „Wart ihr bei unserem Förderplangespräch Mäuschen?“ 

Wie organisiert Ihr den Nachschub an Geschichten?

Der fliegt uns zu. Denn wir leben ja mit unseren Jungs und unseren Familien jeden Tag Inklusion. Wir hatten wirklich mal eine Zeitlang Angst, dass uns der Stoff ausgeht. Aber diese Angst haben wir nicht mehr. Das Leben schreibt immer neue Geschichten. Und wir schreiben sie auf. Es sind schöne Geschichten von wirklichem Miteinander. Es sind aber leider auch Geschichten über falsch verstandene Inklusion bis hin zu krasser „Nixklusion“, schlicht und einfach Diskriminierung pur. Oft übrigens aus Gedankenlosigkeit. Aber das macht die Sache ja nicht besser. Im Gegenteil. 

Ihr habt einen sehr eigenwillig minimalistischen Stil entwickelt, das gibt Eurem Blog ein Alleinstellungsmerkmal. Wie kam es zu diesem Stil?

Über dieses Alleinstellungsmerkmal sind wir ehrlich gesagt – so wie auch auf unsere besonderen Illustrationen, die bunten „Nixklusionsmännchen“ – auch ein bisschen stolz. Wir wollten von Anfang an erzählen, nicht bewerten. Und wir wollten so schreiben, dass uns jeder versteht. So ist dieser Stil entstanden. Wir haben ihn in inzwischen deutlich über 100 Geschichten immer mehr verfeinert und gefestigt. Wenn wir heute unsere ersten Geschichten lesen, dann fällt uns auf, dass wir am Anfang noch nicht so stilsicher waren. Es sollen auch Geschichten sein, die man schnell mal am Montagmorgen liest, bevor die Woche so richtig losgeht. Das tun viele, wie sie uns schreiben. 

Gerade über inklusive Bildung ist die Debatte in Deutschland sehr ablehnend. Viele Menschen sind skeptisch und können sich Inklusion in der Schule nicht vorstellen. Ihr präsentiert konkrete Geschichten übers Gelingen und übers Nicht-Gelingen. Wie reagiert euer Publikum darauf?

Natürlich polarisiert unser Blog auch, so wie das Thema insgesamt. Er polarisiert in viele verschiedene Richtungen. Manche Lehrer*innen und Schulen fühlen sich an den Pranger gestellt. Manche verteidigen vehement auch die heftigsten Exklusionen, übrigens auch Eltern. Es gibt auch Eltern, die die Sonderwege verteidigen, die sie mit ihren Kindern gehen oder gehen mussten. Aber es gibt natürlich auch viel Zustimmung und echte „Fans“ des Blogs. Das freut uns sehr und motiviert uns, weiterzuschreiben. Traurig macht es uns immer, wenn wirklich schöne Geschichten in den Kommentaren schlecht geredet werden – so, als ob es gelingende Inklusion nicht geben dürfe. Nach dem Motto: „Was nicht sein darf, das nicht sein kann.“ 

Wie müsste eine Diskussion über inklusive Bildung aussehen, damit sie uns weiterbringt?

Sie müsste vor allem im zehnten Geltungsjahr der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland dafür sorgen, dass die Energie, die viele Menschen zurzeit dafür einsetzen, Inklusion zu verhindern, darin umgewandelt wird, Inklusion zu machen, sie in die Tat umzusetzen, und sie gut und besser zu machen. Dann wäre schon sehr viel gewonnen. Wir twittern oft unter dem Hashtag #machenstattmeckern. Unser Illustrator, ja auch ein Mensch mit Behinderung, macht das: Immer, wenn wir einen Illustrationswunsch an ihn haben, dann setzt er sich gleich hin und zeichnet. Er mault nur manchmal etwas dabei. Und am Ende ist er immer stolz! 

Dieser Text wurde im Rahmen der Kampagne zum Film 
DIE KINDER DER UTOPIE (Hubertus Siegert) erstellt.

Zur Archivseite der Kampagne

Zum Film DIE KINDER DER UTOPIE

Eine Kinderzeichnung, die die Separation von Kindern mit Behinderung von Gleichaltrigen darstellt.

Schlagworte

  • Wo hakt's?