Klasse für alle: Von Spuckattacken und einem spektakulären Dickkopf

/ Hans-Werner Bick

In unserer Reihe “Klasse für Alle” zeigen wir Beispiele aus dem inklusiven Schulalltag zum Thema Schüler*innenkompetenz: Diesmal geht es um Konfliktlösungen unter Kindern. Hans-Werner Bick, Lehrer an der Montessori-Gesamtschule in Borken, erzählt über die Schülerin Lisa* und ihre Klasse.

Lisa, eine Schülerin mit Down-Syndrom, ging andere Schüler*innen häufig körperlich an: Wurde sie kritisiert, bespuckte sie ihre Kritiker*innen.

Die Mitschüler*innen akzeptierten sie, wunderten sich über ihren Dickkopf, fürchteten sich vor ihren körperlichen Attacken, ekelten sich vor ihren Spuckattacken.

Bei einem Gespräch im Klassenrat, an dem Lisa wegen einer Erkrankung nicht teilnehmen konnte, kamen die Spuckattacken zur Sprache. Im Gespräch wurde klar, dass man auf ein solches Verhalten eigentlich mit einer Ohrfeige reagieren könnte oder das sogar würde. Tenor: „Eigentlich sollte man das bei Lisa auch machen, aber die ist ja behindert.“ Einwand einer Schülerin: „Auch mit einer Behinderung darf man das nicht. Nächstes Mal mache ich das.“ Für mich als Lehrer keine einfache Situation. Ich vertraute darauf, dass es zu keiner Gewalteskalation Lisa gegenüber kommen würde und entschied mich, die Situation genau im Auge zu behalten.

„Eigentlich sollte man das bei Lisa auch machen, aber die ist ja behindert.“

Beim nächsten Mal reagierte die Schülerin auf das Spucken tatsächlich mit einer Ohrfeige. Lisa war völlig verdutzt ob der heftigen Reaktion ihres Gegenübers. Andere Schülerinnen aus der Klasse wiesen in den folgenden Wochen die Spuckattacken lautstark und mehr als deutlich zurück. Nach zwei Wochen hatten sich Lisas Spuckattacken reduziert, nach acht Wochen waren sie gänzlich verschwunden.

Lisa fand jedoch schnell andere Möglichkeiten, um zu zeigen, dass sie „sauer“ auf jemanden war. Wegschauen, Nichtreaktion auf Ansprache, „Blödmann“ oder „Du nicht“ waren solche Möglichkeiten. All diese wurden von den Mitschüler*innen aber geduldig und eigentlich wohlwollend beantwortet, so dass es endlich zu echten Kommunikationssituationen kommen konnte, die sich nach und nach auch für Lisa als befriedigend entwickelten. Lisa konnte sich treu bleiben, ihr Verhalten war aber verändert. Sie gehörte mit ihrem „Sosein“ einfach dazu.

*Name von der Redaktion geändert

Dieser Text wurde im Rahmen der Kampagne zum Film
DIE KINDER DER UTOPIE (Hubertus Siegert) erstellt.

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Zum Film DIE KINDER DER UTOPIE

Nahaufnahme der Gesichtszüge eines Kindes mit braunen Haaren. Es hat die Augen geschlossen und den Mund zu einem Schrei geöffnet.

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