Kinder stehen in einer Reihe hintereinander und ziehen ein Tau

Klasse für alle: Von konstruktiver Kritik im Klassenrat

Von Hans-Werner Bick · · in Wie funkioniert's?

Soziale Kompetenz unter Schüler*innen spielt eine entscheidende Rolle im Miteinander und beim gemeinsamen Lernen. In unserer Reihe “Klasse für Alle” erzählt der Lehrer Hans-Werner Bick Geschichten aus seinem Lehreralltag, die zeigen, dass Inklusion unter Kindern funktioniert.

Max* kam aus einer dreizügigen Grundschule, in der er in allen vier Jahrgängen alle drei Parallelklassen besucht hatte. Der Grund: Max hatte große Probleme in der Selbststeuerung, war immer den Gleichaltrigen in Größe und Kraft völlig überlegen, dazu sehr sensibel und oft aggressiv. Zeitweise war ihm ein Schulbesuch nur durch die Unterstützung einer Schulbegleitung möglich.

Sein Start in der Sekundarstufe gestaltete sich entsprechend. Er war (vor)laut, heftig und versuchte allen seine körperliche Dominanz zu beweisen. Die Konflikte blieben nicht aus. Im Klassenrat wurde er wöchentlich stark für sein Verhalten kritisiert und reagierte meist mit „Gegenangriffen“ auf die Kritik der Mitschüler*innen.

Da diese ihn mit ihrer Kritik aber nicht in Ruhe ließen, im Klassenrat immer wieder das Gespräch mit ihm suchten, und ihm konkrete Vorschläge für ein anderes Verhalten machten, fühlte sich Max irgendwann doch als zugehörig zur Klasse. Denn dadurch, dass sich viele Mitschüler*innen und eben nicht immer nur die Lehrer*innen, Therapeut*innen, Sozialpädagog*innen Gedanken um ihn machten, machte er erstmals die Erfahrung, dass er auch für diese eine Bedeutung hatte.

Max wurde nach und nach zu einem echten „Organisator“, der die Klasse bei vielen Klassenherausforderungen gut (an)leitete und zur erfolgreichen Bewältigung führte. Auch dies wurde ihm mitgeteilt. Max war z.B. derjenige, der mit anderen „problematischen“ Schüler*innen gemeinsam Herausforderungen bewältigte, der Mitschüler*innen in einem Klettergarten über Stunden sicherte, der Darstellungen der Klasse auf der Bühne moderierte.

Und so lernte er, dass die Übernahme von Verantwortung und Aufgaben immer dann zu positiver Rückmeldung führt, wenn er sich auch verantwortlich im Sinne der Erledigung einer Aufgabe verhält. Überall, wo dies nicht der Fall ist, erhält er weiter deutliche „Ansagen“ von seinen Mitschüler*innen, denn Max verhält sich immer noch an der einen oder anderen Stelle „daneben“. Doch er gehört mit seinem „Sosein“ dazu und fühlt sich endlich auch zugehörig.


Anmerkung: Bei der Verabschiedung des langjährigen Schulleiters setzte Max alle Hebel in Bewegung, um den Beitrag seiner Klasse auf der Abschiedsfeier moderieren zu dürfen. Etliche andere wollten diese Aufgabe auch. Doch Max wurde letztlich von den Mitschüler*innen als Moderator bestimmt und er machte es echt toll.

*Name von der Redaktion geändert

Dieser Text wurde im Rahmen der Kampagne zum Film
DIE KINDER DER UTOPIE (Hubertus Siegert) erstellt.

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